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Der alte Birnbaum

Am Dorfrand steht ein neues Haus
Ein alter Birnbaum dicht daneben
das sieht sehr schön und friedlich aus
Doch ging es hier um Tod und Leben

Der Baum muß weg, weg aus der Flur
Die Leute sagen: Hau ihn ab
Du siehst doch selbst, er hindert nur
Der Raum zum Bauen wird zu knapp!

Das hört der Baum, erschrickt zu Tode
Sein Herz erbebt, fängt an zu zittern
Er kommt in Angst und große Not
Mehr als in Sturm und Ungewittern

Hab immer meine Frucht getragen
Bin keineswegs schon faul und träge
Sie wollen mich von hier verjagen
Ich bin zu alt und steh im Wege

Mir greift sein Klagen sehr ans Herz
Ich denk bei mir: Der Baum bleibt stehn
Bin selber alt, fühl seinen Schmerz -
Das Haus mit Baum? - Es wird schon gehn

Es blieb dabei, er steht noch heute
Als treuer Wächter vor dem Haus
Noch täglich hab ich meine Freude
Wenn ich hier gehe ein und aus

Im Frühjahr treibt er frisches Grün
Weiß leuchtet seine Blütenpracht
Scharen von Bienen besuchen ihn
Daß mir das Herz im Leibe lacht

Im Astloch wohnt ein Meisenpaar
Es füttert fleißig seine Jungen
Als Mietpreis wird dann Jahr für Jahr
Dem Birnbaum Lob und Dank gesungen

Er strahlt im Herbst in Rot und Gold
Vertreibt mir so die schlechten Launen
Wenn er erglänzt so friedlich hold
Muß man sich wundern und erstaunen

Der Herbststurm fegt ihm die Blätter herunter
Und reißt an den Ästen mit wildem Gebraus
Doch er treibt die Wurzeln nur tiefer hinunter
So trotzt er dem Sturm, so hält er ihn aus

Mir ist dann, als wollt er zu mir sagen:
Laß gut sein, wir zwei sind wohl alt und wund
Doch denk ich: Wir brauchen im Sturm nicht verzagen
Wir stehen ja beide auf festem Grund

Mein alter Birnbaum erfreut mich sehr
Bin froh, daß ich ihn mit der Axt verschont
Vom Abhauen spricht hier keiner mehr -
Sein Überleben hat sich gelohnt.

[Friedrich May, © Ekkehard May]